Wie „tankt“ ein Stardesigner sein kreatives Potenzial wieder auf?

Es gibt nur wenige Leute, die es sich leisten können, einem den Rücken zuzudrehen, ohne dabei an Erkennbarkeit einzubüßen. Er kann: In der neuesten Werbung für eine elegant ausgestattete VW-Modellreihe dreht er uns den Rücken zu und erklärt, diese Wagen seien so schick, dass sie ganz einfach nach Paris gehören.

Der Mann hat einiges im Leben richtig gemacht. Vor allem hat er sich nie beirren lassen und seine eigene Person von Beginn an als Marke verstanden. Branding, wie es heute neudeutsch heißt, das ist das gezielte Herausarbeiten von Alleinstellungsmerkmalen, unverwechselbaren Werten und Wesenszügen. Auch wenn einzelne Produkte kopiert werden mögen, das Wesen und die Kultur einer ganzen Marke sind unverwechselbar und lassen sich nicht so ohne weiteres über Nacht adaptieren.

Lagerfeld steht für eine Kultur ganz klar abgegrenzter Prioritäten. Da sind auf der einen Seite zahllose Aspekte, die er für nebensächlich hält und die Bereiche markieren, in denen er von geradezu asketischer Anspruchslosigkeit ist. Um so mehr profiliert er ausgewählte Schwerpunkte: Seine Liebe zur Fotografie und zu Büchern beispielsweise. Alles an diesem Mann ist Kult. So sehr, dass seine Mode letztlich nur eine kreative Folge seiner überaus konsequenten Persönlichkeit ist. Er hat ganz einfach feste Überzeugungen. Und zu denen steht er, ganz „wurscht“, ob andere das nun für versponnen oder für politisch unkorrekt halten. Er ist sich selber treu, was kümmern ihn Mehrheiten? Hat er etwas entschieden, so setzt er es um. Ohne Sorge um die Folgen.

Inspiriert ihn eine Frau, so fördert er sie, mögen andere sie häßlich finden. Lehnt er Trends ab, so äußert er es, mögen andere ihn schelten. Und ist er der Meinung, seine Figur ändern zu müssen, so nimmt er eben in entsprechendem Maße ab: Geht nicht, gibt’s nicht! Die Persönlichkeit ist getragen durch ein Selbstmanagement von höchster Disziplin, die das Gefüge aller Überzeugungen fest zusammenhält. Das ist harte Arbeit an sich selbst, die Respekt abnötigt und deshalb kann Neid gar nicht erst aufkommen. Kausalitäten für vermeintliche Gags ergeben sich mit fast zwingender Logik. Der Zopf beispielsweise: Er muss ganz einfach sein, um auf Anhieb ordentlich auszusehen ohne lange herumfrisieren zu müssen. Ist praktisch, hat sich bewährt, fertig! Auf die Frage nach Drogen: „Nö, ich brauch einen klaren Kopf zum Arbeiten.“ Kurz, knapp, prägnant – So einem Mann glaubt man.

Eine gefestigte Persönlichkeit und ein hohes Maß an Kreativität. Das scheint einander zu widersprechen. Was wäre aus Karl Lagerfeld geworden, wenn er, wie es viele tun, in die elterliche Firma eingestiegen wäre? Er würde, wie sein Vater, Dosenmilch herstellen und vertreiben. Wohl besser, dass es nicht dazu gekommen ist. Er hätte seine besonderen Fähigkeiten nicht ausleben können. Konsequenz bei der Durchsetzung eigener Überzeugungen, das hieß eben von Anfang an auch, das zu erleben und zu erlernen, was ihn wirklich interessierte und das zu perfektionieren, was ihm wirklich lag. Bis er den Olymp erklomm. Und der hieß in seinem Falle Chanel. Die beiden ineinander verschlungenen „C“ des Hauses Coco Chanel waren für ihn so etwas, wie für Bergsteiger das Gipfelkreuz. Als er dort ankam, hatte er sich längst selbst zu einer der bedeutendsten Marken der Modewelt entwickelt.

Kreativität ist ein Kapital, das gepflegt sein will. „Woher nehmen Sie die Kraft, um schöpferisch sein zu können?“ Eine Frage, die Karl Lagerfeld in seinem Leben hundertfach gehört hat. Seine Antwort ist ganz einfach: „Allein sein.“ Und dabei geht es nicht um das oft zitierte „Allein sein Können“, sondern um das bewußte „Allein sein Wollen“. Einem Menschen, der im Rampenlicht der Fashionshows steht, umgeben von Horden „verrückter Hühner“, bedeutet Einsamkeit höchsten Luxus, Entspannung pur. Im Gegensatz zum „Einsam sein“ ist „Allein sein“ ein bewußt gewählter Zustand und hat nichts mit Erleiden zu tun, ganz im Gegenteil.

Wichtig ist ihm, nichts zu unternehmen, um die Freizeit nicht erneut in ein strenges Zeitkorsett zu binden. Weder reisen, noch auf die Uhr schauen zu müssen. Einfach nur lesen, dösen, ausruhen zu können. Alleinsein ist nichts, was man bemüht erlernen sollte, sondern eignet sich für diejenigen, die gut mit sich auskommen, denen ohnehin danach ist. Und gibt es sonst noch ein Rezept für wirksames Entspannen?: Gleichgültigkeit, selbst wichtigsten Dingen gegenüber, denn sonst holt einen die Hektik immer wieder ein.

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